Ein 250jähriger Torbogen
Wer mit “offenen” Augen die Georgengasse – für die Ur-Speyerer der Schwanenbuckel- entlanggeht, erblickt auf der östlichen Straßenseite, gegen das evangelische Pfarrhaus zu, ein altersgraues Rundbogentor. Oben am Keilstein erkennt man bei genauerem Hinsehen einen stelzfüßigen Bettelmann mit einer umgehängten Almosentasche. Er erinnert daran, dass hier in vergangenen Tagen der Eingang zum St.-Georgen-Hospital war. Wieviel Leid, wieviele Not mag das bucklige Männlein in den zweihundertfünfzig Jahren, seitdem dieser Torbogen errichtet ist, gesehen haben?
Im Inventarisationsband der Speyerer Kunstdenkmäler wird über dieses Tor berichtet: “Rundbogentor, in einer für das Speyerer Rokoko bezeichnenden, schlichten Architektur. Am Keilstein Relief eines stelzfüßigen Bettelmannes. Sehr gute, mit Humor aufgefasste Arbeit von Vinzenz Möhring, um 1760 bis 70″.
Wenn man sich die Mühe macht und in den Rechnungsbüchern des ehemaligen St.-Georgen-Hospitals – sie werden heute im Stadtarchiv verwahrt – nachsucht, findet man im Rechnungsbuch für das Jahr 1764 folgenden Eintrag: “Ausgabe für Baumaterialien – 13. August 1764 dem Steinhauer Matthes Dojieu vor (für) einen steinernen Torbogen ad (zu) 131/2 (Gulden), eodem (dazu) dem Bildhauer Möring vor Bearbeitung des Schlusssteines, hieran laut Zettel (Quittung) zahlt (bezahlt) 2 fl 45 xr (Kreuzer)” und im Amtsprotokoll des St.-Georgen-Hospitals vom 18. Juli 1763: “Mit dem Steinhauer Matthes Doyen von St. Martin einen Torbogen zum Spital akkordiert, welcher im Lichten sein soll 111/2 Schuh (3,31 m), hoch 12 Schuh (3,45 m), von quadratischer Arbeit mit Schaft, Capitalen und Radkugeln in loco St. Martin abzuholen um 13 fl 30 xr”.
Möhring erhielt also für seine kunstvolle Arbeit 2 Gulden 45 Kreuzer, für heutige Verhältnisse eine mehr als bescheidene Summe (Ein moderner Bildhauer würde dieses Honorar mit Entrüstung zurückweisen. Möhring hätte sich damals für diesen Betrag etwa 20 Pfund Rindfleisch kaufen können).
Seitdem sind 250 Jahre dahingegangen. Auch das stelzfüßige Bettelmännlein hat das zu spüren bekommen. Wind und Wetter hatten ihm so zugesetzt, dass man es 1956 samt dem Keilstein aus dem Bogen herausnahm und ihm seitdem im Museum einen Unterschlupf gewährt. Da der Torbogen seinen ursprünglichen Reiz nicht verlieren sollte, wurde an Stelle des Originals eine Kopie, gefertigt von Bildhauer Rehberger, eingesetzt. Wer weiß, ob das neue Bettelmännlein in 250 Jahren noch von seinem Bogen herunterschaut?
Über den Bildhauer Vinzenz Möhring sei in einigen Zeilen berichtet. Geboren 1718 in Alsleben in Unterfranken, kam er im Spätjahr 1746 nach Speyer und übernahm die Werkstatt des im Frühjahr des gleichen Jahres verstorbenen Bildhauers Johann Georg Link. 1748 erhielt Möhring das Bürgerrecht der Reichsstadt Speyer und heiratete die Witwe des verstorbenen Link. Zwei seiner Stiefsöhne lernten und arbeiteten in seiner Werkstatt: Franz Konrad Link (1730 – 1797), der spätere kurpfälzische Hofbildhauer, und Peter Anton Link (1743 – 1824), der nach dem Tode Möhrings die väterliche Bildhauerwerkstatt übernahm. 1753 gehörte Möhring dem großen Zunftausschuss der Zimmerleutezunft an. 1777 verstarb er und wurde im St.-Johannes-Kirchhof an der Johannesgasse beigesetzt.
Möhring war ein gesuchter und tüchtiger Bildhauer. Viele seiner Arbeiten gingen verloren oder sind nicht mehr als seine Arbeiten bekannt. Erhalten blieben: in der Pfarrkirche zu Waldsee einige Figuren vom ehemaligen Hochaltar (1746/47), in Speyer eine überlebensgroße Fortuna (1749) vom ehemaligen Neuen Kaufhaus (heute Stadtbauamt), aufgestellt in der Eingangshalle des Museums, an der Pfarrkirche zu Kirrweiler ein Wappenstein des Fürstbischofs Franz Christoph, Freiherr von Hutten (1749), an der Außenseite der Sakristei an der Pfarrkirche zu Venningen ein Wappenstein des Bistums (1750), in der Pfarrkirche zu Hambach ein prächtiger Hochaltar (1753), in der Pfarrkirche St. Jakobus zu Schifferstadt eine Taufe Christi (1763) und wieder in Speyer an der Südseite des Domes das Grabdenkmal des Bischofs Gerhard von Ehrenberg (1776).
Außer diesen Arbeiten gibt es – auch hier in Speyer – noch einige Werke, die man Vinzenz Möhring zurechnen kann. Ein urkundlicher Nachweis lässt sich aber in diesen Fällen nicht mehr führen.
In diesem Zusammenhang sei auch an das Eingangstor zum ehemaligen Jesuitenkolleg in der Stuhlbrudergasse erinnert. Erst vor wenigen Jahren – im Oktober 1957 – fiel es der Straßenverbreiterung zum Opfer. Jahrelang lagen die einzelnen Bogenteile im städtischen Baulager an der Hafenstraße. Da überraschte eine Zeitungsnotiz am 23. Dezember 1962, in der es hieß, der Torbogen des ehemaligen Jesuitenkollegs sei nach Grünstadt gekommen und dort am gerade renovierten ehemaligen Kapuzinerkloster wiederverendet worden.
Quelle: Beiträge zur Speyerer Stadtgeschichte Heft 1, Fritz Klotz, Stadtgeschichtliche Miszellen