In dem teilweise noch nicht gesichteten literarischen Nachlass des Kunsthistorikers Clemens Jöckle befindet sich vermutlich ein Schriftstück über eine von den Nazis geplante Gigantomanie in Speyer. Wäre ein nahe des Doms vorgesehener gewaltiger Kuppelbau Ende der 1930-er, anfangs der 1940-er verwirklicht worden, hätte er einen Teil der Innenstadt im Wortsinne in den Schatten gestellt.
Der „Altar des Vaterlands“ sollte mit einem von vier etwas kleineren Glockentürmen umgebenen Kuppelbau 172 m hoch und mit seinen beiden Seitenarmen jeweils 166 m breit werden. Zum Vergleich: Die Osttürme des Doms enden bei 71,20 m, die Westtürme bei 65,60 m. Von Außenwand zu Außenwand misst das Querhaus der Kathedrale 55,36 m.
Ausgelöst hatte diesen Gegendom vermutlich Hitler selbst. Er soll nach einer Besichtigung des Pantheons in Paris angetan gewesen sein von der Pathos ausstrahlenden Weihe- und Begräbnisstätte großer Franzosen.
Den Kolossalbau als Plan entworfen hatte wahrscheinlich der verstorbene Würzburger Oberbaurat Hubert Groß. Er war als Baureferent bei der Oberpostdirektion Speyer tätig gewesen, genoss im Dritten Reich das Wohlwollen des Reichsbauinspektors Speer und gilt als Planer der „neuen deutschen Stadt Warschau“.
Von Clemens Jöckle darum gebeten, hatte 1995 hatte der ebenfalls verstorbene Speyerer Architekt Alfons Sohn nach dem damaligen Plan ein Holzmodell des Gegendoms gefertigt. Es lagert heute im Stadtarchiv.
Um den „Altar des Vaterlands“ errichten zu können, hätten ganze Häuserzeilen abgerissen werden müssen. Die Fläche erstreckte sich vom Domplatz bis zur Herdstraße, vom unteren Teil der Maximilianstraße bis zur Großen Pfaffengasse. Das bischöfliche Ordinariat und wahrscheinlich auch das Bischofspalais wären ebenso verschwunden wie das Judenbad.
Clemens Jöckle sprach über diesen nationalsozialistischen Größenwahn im März 2012 während eines Vortrags. DIE RHEINPFALZ hatte über das Vorhaben bereits 1988 berichtet und nun im Stadtarchiv und bischöflichen Archiv, in dem detaillierte Baupläne des Vorhabens verwahrt werden, weitere Recherchen angestellt.
Nach dem Vorbild der in Berlin geplanten monströsen Halle mit einer 300-m-Kuppel und vermutlich auf Anregung des im nordpfälzischen Alsenz geborenen Reichsinnenministers Wilhelm Frick sollte auch in Speyer einen Prachtbau geben, der nationalsozialistisches Gedankengut unübersehbar machen würde. Eine riesige Steinplatte am Vorderportal des „Altars des Vaterlandes“ sollte verkünden: „Die Ehre sei Gott, das Gesetz allen Menschen, Unsterblichkeit den Toten, dem Volke sei Führung und Reich, die Gemeinschaft des Lebens, die Reinheit seines Blutes, die soziale Gerechtigkeit“.
Der geplante Speyerer „Kultbau“ war eine Art Folgeprojekt. Es nahm Formen an, als Bestrebungen der Nazis, den Dom als Nationaldenkmal „herzurichten“, offenbar nicht umgesetzt wurden. (wk)