Speyer und Umgebung aus der Sicht der Regierungspräsidenten im 19. Jahrhundert

 

STADTGESCHICHTE(N): Speyer und Umgebung aus der Sicht der Regierungspräsidenten im 19. Jahrhundert

Mit Kutsche, Eisenbahn und  auch Dampfboot inspizierten in der Zeit des bayerischen Rheinkreises Pfalz die in der Speyerer Maximilianstraße 5  residierenden Regierungspräsidenten drei oder auch vier der zwölf Landkommissariate, darunter auch den Kanton Speyer. Sie taten das im 19. Jahrhundert auf Befehl aus München und vermutlich in Begleitung von Kantonsärzten. Die Landkomissariate hießen später Bezirksämter.

Die durch königliche Verordnungen geregelten Inspektionen – im Kanton Speyer in der Stadt selbst, in Berghausen, Heiligenstein, Mechtersheim, Harthausen, Hanhofen, Dudenhofen, Otterstadt, Waldsee und Schifferstadt – sollten informieren über die Zustände in den Kommissariaten. Der Landauer Archivar Dr. Andreas Imhof gab bei einem Vortrag im Speyerer Stadtarchiv Einblick in die Ergebnisse dieser Dienstreisen.

Im Jahr 1861, über das der Kantonsarzt Dr. Michael Nockher ausführlich berichtete, zählte der Kanton Speyer mit seinen zehn Orten 24.202 Bewohner. Von denen lebten 11.242 in der Kreishauptstadt. Entfielen auf eine Speyerer Familie durchschnittlich 4,4 Personen, so waren es in den Dörfern 5,1. Laut Nockher gab es in Speyer „auffällig viele kinderlose Ehepaare“. Was vermutlich damit zusammenhing, dass Speyer wegen seiner hygienischen Missstände als ungesunde Stadt galt und die Kindersterblichkeit hoch war.

Über die Speyerer und die Bewohner der dazugehörigen Dörfer urteilte der Arzt so: „In manchen Jahren stellte der Kanton Speyer die schönsten, kräfigsten Männer zur Conscription (Wehrpflicht), namentlich vom Landvolke. Die Frauenwelt ist minder schön. Im Wuchs meist klein, aber im allgemeinen reinlich und fleißig“. Überhaupt sei „Reinlichkeit oftmals bei Leuten niederen Standes zu finden, bei welchen er nicht vermutet wird“.

Die Regierungspräsidenten konzentrierten sich im Kanton Speyer auf drei Bereiche: Schulen, Zustand der öffentlichen Gebäude und auf den Hochwasserschutz.

Bei der Beurteilung von Speyer war zu berücksichtigen, dass die Stadt nach der Niederbrennung von 1689 lange Zeit unbebaut blieb. In einem Bericht heißt es: „Immer wieder trifft man entlang der Straßen auf große Gärten an Stellen, wo vorher Häuser oder Kirchen standen“. Doch es ging aufwärts, und 1866 hieß es, dass „Speyer zu den vier baufreudigsten Städten Bayerns gehört“. Noch 1864 fragte ein Bürger in einem Leserbrief des „Anzeiger“, ob „Speyer Stadt oder Dorf sein will“. Entscheide es sich für Stadt, dann müsse verhindert werden, dass auf der Hauptstraße Dung abgeladen wird oder Abtrittgruben ausgehoben werden.

Und im September 1878 berichtete Regierungspräsident Paul von Braun nach München: „Besichtigung der Canalisationsarbeiten im so genannten Choleraviertel (das waren Teile des Hasenpfuhls, aber auch andere Stadtteile). Der Stadtrat, von mir gezwungen, diese Arbeiten vorzunehmen, hat wenig Freunde daran. Die bisherigen Arbeit beweisen die Notwenigkeit der Maßregeln sowie deren Zweckmäßigkeit zur Genüge“. Während der Cholera-Epidemie, ausgelöst durch unhygienische Zustände auf Straßen und in Häusern sowie fehlende Kanalisation, starben 1873 in knapp drei Monaten 202 Speyerer.

Lange Zeit „geheim“

Aufschluss über die Zustände in der Pfalz im 19. Jahrhundert und damit auch über die in Speyer und Umgebung hätte es schon lange geben können. Das dem nicht so war, liegt laut Andreas Imhof „an dem wenig spannenden Titel der im Landesarchiv Speyer lagernden acht Aktenbündel. Bezeichnet als ,Dienstreisen der Regierungspräsidenten‘ ließen sie fürchterlich Langweiliges erwarten, nämlich Dienstreise-Anträge und Reisekosten-Abrechungen. Deshalb hat wohl niemand die Akten eingesehen. Aber wären sie schon vor 50 Jahren ,entdeckt‘ worden, wüssten wir mehr über die Verhältnisse in Städten und Dörfern. Denn  die Aktenbündel enthalten nicht öde Abrechungen, sondern die Berichte der höchsten staatlichen Vertreter über Beobachtungen während ihrer Reisen quer durch die Pfalz“.  (wk)