„Geradezu trostloser Zustand“

STADTGESCHICHTE(N):  Speyerer Dichter Schandein und die Straßen seiner Stadt

Handelten die Speyerer Stadtväter großmütig oder unwissend? Denn ausgerechnet einer der Männer, sie 1925 mit der Benennung einer Straße auszeichneten, hatte den Zustand des Straßennetzes mit einem Namen belegt, den die „Speierer Zeitung“ während des 1. Weltkriegs „zwar zutreffend, aber unaussprechlich“ hielt. Der Volkskundler, Mundartdichter und Kreisarchiv-Direktor Ludwig Schandein (1831 – 1894) hatte offenbar kein Blatt vor den Mund genommen.

Schandein dürfte die örtlichen Straßen schon in den 1880-erJahren so vorgefunden haben, wie sich sich noch Jahrzehnte später präsentierten. Jedenfalls erregte sich die erwähnte Zeitung in einem für die damals übliche Lokalberichterstattung ungewöhnlich deutlichen Bericht über den „geradezu trostlosen Zustand, über den sich die Straßen der Kreishauptstadt befinden“. Ausgelöst hatte die Schilderung die Beschaffenheit der Straßen im seinerzeit strengen Winter.

„Wegen des Mangels an Kanalisation fließen die schmutzigen Hausabwässer über die Fußsteige auf den Straßen und gefrieren sofort. Straßen und Fußsteige sind in ihrer ganzen Breite mit Eis bedeckt und gleichen zugefrorenen Gewässern. Von Sandstreuen ist natürlich kaum die Rede, und wenn es taut, verwandeln sich die innerstädtischen Straßen in Seen. Hoffentlich kann die Kanalisation zur Ausführung kommen“.

Die „Speierer Zeitung“ rügte vor 100 Jahren aber nicht nur die Stadtverwaltung: „Nach einem sommerlichen Gewitter mit Gussregen sind die Straßen ebenfalls überschwemmt. Aber daran trägt nicht allein der Mangel an Kanalisation die Schuld, auch die Hausbesitzer und anderen Einwohner. Denn die Straßenrinnen werden nicht freigehalten. Zudem erregt die skandalöse, flegelhafte Verunreinigung der Straßen und Plätze den Unwillen eines jeden einigermaßen anständigen Menschen“. Außerdem sei es schwer, „bei Dunkelheit den Weg nach Hause zu finden. Die Anregungen, Richtlaternen brennen zu lassen wie zum Beispiel in Frankenthal hat in Speyer natürlich auch noch keinen Erfolg gehabt“.

Wenn sich auch die Zustände im Laufe der Jahrhunderte wesentlich gebessert haben – bei seinem Dienstantritt 1919 hatte Bürgermeister Karl Leiling die Stadt als rückständig empfunden: „Zwei Drittel der Gassen und Straßen sind nur geschottert und erst ein Drittel gepflastert“. Inzwischen hat im Bereich der Innenstadt nur noch die Rützhaubstraße einen Belag, der weder mit Auto,
Roller und Fahrrad  gut zu befahren ist. Gut beleuchtetet dagegen ist diese buckelige Kopfsteinpflaster-Strecke ebenso wie die meisten anderen Speyerer Straßen. (wk)