Der Storchenkrieg von Speyer

Der Storchenkrieg von Speyer

 

Nicht in die wechselvolle Geschichte der Domstadt am Rhein eingegangen ist „Der Storchenkrieg von Speier“. So betitelte 1912 die in Magdeburg erscheinende „Volksstimme“ die von der „Frankfurter Zeitung“ übernommene Schilderung einer Episode von 1789, die auf dem Dach der heute 282-jährigen Sonnenapotheke in der ab 1816 Maximilianstraße genannten Hauptstraße begonnen hatte.

Auf dem Apothekendach nistete ein Storchenpaar – sehr zur Freude des Apothekers Ludwig Wilhelm Garisch, nicht jedoch zu der eines benachbarten Schneidermeisters. Der schimpfte wegen des von den Vögeln verursachten Ungeziefers und stieß in einer nächtlichen Aktion das Storchennest vom Dach der anderen Haushälfte (zum besseren Verständnis: Durch das Anwesen der Sonnenapotheke lief nach Auskunft des heutigen Besitzers Dr. Wolfgang Eiberger eine Trennmauer).

Daraufhin verklagte der Sonnenapotheker Garisch den Schneider, der jedoch vor Gericht Recht bekam. Was wiederum einige Anwohner verdross. Sie brachten, laut Zeitungsbericht „vor der Obrigkeit vor, das Storchennest möge in ihrer Straße bleiben“.

Als die „Obrigkeit“ unnachsichtig blieb, handelte ein neben dem Schneidermeister wohnender Weißgerber. Und sorgte auf seinem Haus für eine Nistmöglichkeit, die die Störche alsbald annahmen. Das ärgerte den Schneidermeister sehr. Er hieß seine Gesellen, in ihrer Schlafstube im Speicher viel Lärm zu machen. Was sie offenbar so ausgiebig taten, dass die Vögel davonflogen. Das wiederum veranlasste andere Nachbarn zu einem Spottgedicht über die Schneidergesellen, worauf diese das verlassene Nest auf die Straße beförderten.

Die Folge: Es gab eine Straßenschlägerei, in die Soldaten eingriffen und in deren Verlauf einige Beteiligten in den auf der Hauptstraße fließenden Speierbach stürzten und eine Obsthändlerin einen Arm verlor. Jetzt griff der Stadtmagistrat ein und ließ anderntags öffentlich verkünden, auf dem Apothekerhaus werde wieder ein Storchennest angelegt, für dessen Erhalt „dem Hausbesitzer und seinen Erben auf undenkliche Zeit das Recht zusteht“.

Die „undenkliche Zeit“ ist längst vorbei, die heutige Sonnenapotheke ist storchennestfrei. – Wolfgang Kauer