„Ausgebeutete Proletarierinnen“
Speyerer Frauen-Streik 1899 in den Ziegelwerken war eine Sensation
Bei Streiks geht es vorwiegend um eine bessere Entschädigung. Darum ging es auch bei der vermutlich ersten Arbeitsniederlegung von Frauen und Mädchen in Deutschland – beim Streik 1899 in den Vereinigten Ziegelwerken von Speyer. Dabei ging es aber auch um die Beseitigung von „menschenunwürdigen Zuständen“, wie es 1899 in der Presse hieß.
Die in Ludwigshafen erscheinende, auch in Speyer und Umgebung gelesene „Pfälzer Post“ merkte zu einer Protestversammlung „von weit über 200 Personen“ in der Gastwirtschaft „Rheinstation“ an: „Es ist ein sehr erfreuliches Zeichen, dass sich auch bei diesen ausgebeuteten Proletarierinnen endlich das bisher mit allen Mitteln niedergedrückte Klassenbewusstsein bemerkbar macht. So unglaublich es auch klingen mag – die Mädchen und Frauen haben wirklich gestreikt“.
Der „Weiberstreik von Speyer“ galt in ganz Deutschland als Sensation. Um seine Ursache zu verdeutlichen, wird im Folgenden aus dem damaligen Artikel der „Pfälzer Post“ zitiert. Zumal es nicht nur um eine Lohnerhöhung ging (im Durchschnitt erhielten die meist elf Stunden an Pressen stehenden Mädchen und Frauen 1,60 Mark am Tag), sondern auch um eine Verbesserung der Werksbedingungen überhaupt. Wobei in dem Zeitungsbeitrag darauf verwiesen wurde, „dass die ausnahmslos in Heiligenstein, Mechtersheim und anderen umliegenden Orten wohnenden Mädchen ihren Arbeitsplatz am Rhein in Speyer mangels anderer Gelegenheit zu Fuß erreichen müssen. Ihr Arbeitstag beträgt also, die tägliche Marschleistung eingerechnet, 13 bis 14 Stunden“.
Zur Arbeitsverweigerung führten zudem: Die Arbeiterinnen konnten sich nicht säubern (Zitat: „Eine Wasserleitung ist vorhanden, aber wer sie benutzt, wird bestraft“), konnten ihr mitgebrachtes Essen nicht warm machen, bei Windstößen fiel von der Fabrikdecke Ruß, es gab keinen Umkleideraum und keine Möglichkeit, die gegen Arbeitskleidung getauschten Alltagskleider aufzubewahren, die zur Reinigung der Ziegelpressen benötigten Putzlappen und Bürsten „sind selbst anzuschaffen“.
Wie lange der Streik dauerte, ob es mehr Lohn gab und ob überhaupt etwas verändert wurde, ist nicht überliefert. Die Arbeitsniederlegung war jedoch insofern erfolgreich, da die Fabrikinspektion, ein Vorläufer der Gewerbeaufsicht, auf die Arbeitsverhältnisse in den Speyerer Ziegelwerken aufmerksam wurde. Zudem registrierte der bei der Protestversammlung das Wort führende Vertreter der „Nichtgewerblichen“, eine Gewerkschaftsorganisation, laut Zeitungsbericht, „ein beträchtliche Anzahl Arbeiterinnen, die sofort ihren Beitritt zu dem Verband erklärten“. (wk)