Speyer im Mittelpunkt der Wissenschaft

Friedrich Magnus Schwerd zieht vor 150 Jahren zum Teil weltberühmte Kollegen an

Das in den letzten Jahrzehnten mehr denn je festefrohe Speyer war vor über 150 Jahren Ort einer Veranstaltung, wie sie in dieser Bedeutung in der Pfalz nie wiederholt worden ist.

Im Herbst 1861 hielt die heute um die 4000 Mitglieder große Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte ihre 36. mehrtägige Jahresversammlung in Speyer ab. Das war ein Ereignis, über das Zeitungen und wissenschaftliche Blätter in ganz Deutschland berichteten.

Rudolf_Virchow

Speyer als Tagungsort hatte einen bekannten Fürsprecher. Der als Arzt und Naturwissenschaftler in Berlin berühmt gewordene Rudolf Karl Ludwig Virchow hatte die kleine Stadt am Rhein vorgeschlagen. Nicht etwa, weil Speyer damals die Verwaltungszentrale des bayerischen Rheinkreises Pfalz war, sondern weil ein ebenfalls bekannter Wissenschaftler hier lebte und wirkte. Friedrich Magnus Schwerd (1792 – 1871). Vielleicht aber auch, weil Virchow als ehemals März-Revolutionär von 1848 die Stadt kennenlernen wollte, die von dem Pfälzer Aufstand 1849 geprägt war.

Schwerd, Mathematik- und Physikprofessor der Königlichen Studienanstalt in Speyer (heute  Gymnasium am Kaiserdom), hatte mit seinen Forschungen auf dem Gebiet der Erd- und Landvermessung (Geodäsie), Physik und Astronomie hohes Ansehen erworben. Virchows Vorschlag, die Tagung in „tiefer Provinz“ abzuhalten, wurde vermutlich auch deswegen angenommen, weil König Maximilian II. von Bayern dem in Osthofen geborenen Speyerer 1860 das Ritterkreuz I. Klasse des  Verdienstordens vom Heiligen Michael verliehen hatte. Einen derart geehrten Kollegen zu haben,  überzieht jeden Verein mit Glanz.

So folgten denn weitere teils weltbekannte Wissenschaftler dem Vorschlag Virchows, unter anderem die Chemiker Robert Bunsen,  Justus Freiherr von Liebig und Friedrich Wöhlert, die Botaniker Heinrich Zoller und Andreas Schimper, die Fachmediziner Matthias Volz und Caspar Max Brosius. Insgesamt fanden sich 611 Persönlichkeiten für eine Woche zum Wissens- und Informationsaustausch in Chemie, Physik, Geowissenschaft, Biologie, Medizin und Technik in Speyer ein.

Schwerd nutzte die Gelegenheit, um den „Vereinskollegen“ seine Entwicklungen in der Erd- und Landvermessung vorzustellen, die er als „Die kleine Speyerer Basis“ bekannt gemacht hatte. Seine Erfindung wurde bis zu der in den 1960-ern eingeführten Vermessung durch Satelliten angewendet.

Speyer war von dem Besuch sehr angetan. Bürgermeister G. J. Haid unterzeichnete ein Inserat in dem „Anzeige-Blatt der Kreis-Hauptstadt Speyer“ mit folgendem Text: „Unsere Stadt wurde von vielen auserkoren, die 36. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in ihrer Mitte tagen zu sehzen. Der unterfertigte Bürgermeister ist überzeugt, dass die gesamte Einwohnerschaft diese Ehre wohl zu schätzen weiß und mit gewohnter Opferwilligkeit alles aufbieten wird, um durch äußeren Schmuck der Häuser das Ihrige zur Verherrlichung der zu erwartenden festlichen Tage beizutragen“.

In folgenden Artikel des besagen Blatts war von einem „verstärkten Droschkendienst vom Bahnhof aus“ zu lesen, von einem Ausflug im „Extrazug der Pfälzischen Ludwigsbahn nach Neustadt an der Haardt“ und von einem „von der Stadt ausgerichteten Feuerwerk beim eigens vorverlegten Gartenfest in Berghausen“. Die Vorträge der verschiedenen Fachschaften waren in „Volkschulhaus, Gewerbeschule und Lyceum“.

Abschließend schmeichelte Virchow der Stadt wie folgt: „Die Ortsauswahl lieferte den Beweis, das Pflege und Anbau der Wissenschaft heute nicht mehr an Universitäten gebunden ist“.  Wolfgang Kauer (aus der Reihe: Stadtgeschichte(n) in der RHEINPFALZ, 2013); Bild: wikipedia

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