Meilenstein an der Stadthalle erinnert an ferne Bundeshauptstadt
Seit über einem halben Jahrhundert erinnert in Speyer ein tonnenschwerer Sandstein mit einem aufrecht stehenden, züngelnden Bären und der ebenfalls gemeißelten Angabe „Berlin 660 km“ an die ferne Bundeshauptstadt. Die Arbeit des Steinmetz- und Bildhauerbetriebes Grimm an der Straßengabelung Schützenstraße, Dudenhofer Straße und Obere Langgasse hat die Chance, als Denkmal anerkannt zu werden.
Das jedenfalls will der seit 2008 in Berlin Mitte bestehende Berliner Bärenfreunde e. V. Er sucht alle Berliner Meilen- oder Kilometersteine, die zwischen dem 17. Juni 1953 (Aufstand im damaligen Ostberlin) und dem Mauerfall am 9. November 1989 aufgestellt worden sind. Nach Angaben der Vereinsvorsitzenden Christa Junge sind die Standorte von 140 dieser etwa 200 Gedenksteine bekannt, darunter auch von dem in Speyer.
Mehr jedoch nicht. Möglichst genaue Angaben über den Speyerer Berliner Meilenstein zu erhalten seien laut Junge aber die Voraussetzung zur Anerkennung als Denkmal. Der Stein ist nicht zu verwechseln mit dem 1958 eingeweihten 17.-Juni-Gedenkstein im oberen Domgarten, geschaffen von Otto Grimm, und dem seit 1977 auf dem Berliner Platz aufgestellten Bären-Obelisken von Franz Müller-Steinfurth.
Recherchen nach der Geschichte des Berlin-Meilensteins in Speyer verliefen nicht eben einfach. Sie ergaben letztlich Folgendes.
Der erste Speyerer Bären-Stein wurde am 6. Oktober 1963 im Rahmen der Ausstellung „Berlin- Deutschlands Hauptstadt“ in der im selben Jahr eröffneten Stadthalle aufgestellt. Nicht etwa dort, wo er heute steht, sondern „am oberen Rastplatz der 1956 eröffneten Rheinbrücke“, wie es in einer Einladung heißt. Enthüllt wurde er von Berlin-Kreuzberger Bürgermeister Beck, eine der Ansprachen hielt der Speyerer Oberbürgermeister Paulus Skopp.
An der Rheinbrücke (heute Salierbrücke) stand er der „Bär“ nicht allzu lange. Wann er in die Nähe der Stadthalle „umzog“, ist nicht mehr festzustellen. Zwei Jahre nach der Enthüllung war er nach einem RHEINPFALZ-Artikel vom 29. Dezember 1965 noch an der Rheinbrücke anzutreffen, freilich nicht ohne einmal umgekippt zu sein. Das passierte aus einem nicht mehr bekannten Grund, möglicherweise weil der Boden nach schweren Regenfällen nachgab.
Seine zweite Schieflage verdankte Speyers Berliner Meilenstein bereits seinem neuen Standort – er war einem Verkehrsunfall ebenso wenig gewachsen wie ein Auto. Beide „Umfaller“ hat der nach Schätzung von Steinmetz- und Bildhauermeister Holger Grimm zwischen 700 und 800 Kilogramm schwere Stein unramponiert überstanden. Wann er nahe der Stadthalle aufgestellt wurde, ist nicht festzustellen.
Den Einfall, mit einem Gedenkstein Berliner Bär samt Angabe der jeweiligen Kilometerentfernung an die damals geteilte deutsche Hauptstadt zu erinnern, hatte der Berlin-Beauftragte Gerd Bucerius, Verleger des Hamburger „Stern“ und später Aufsichtsratsvorsitzender der Bertelsmann AG.
Seiner Absicht, von 1954 an alle 500 km einen dieser Steine an Autobahnen mit dem Berliner Bären zu errichten, nahm sich der Bund der Berliner und Freunde Berlins an (gegründet 1951, aufgelöst 1998; auch in Speyer gab es eine von über 150 Ortsgruppen). Er bewirkte, dass das Symbol in rund 200 Städte errichtet wurden, in der Pfalz außer in Speyer auch in Ludwigshafen, Frankenthal, Neustadt, Landau, Bad Bergzabern und Kaiserslautern.
Die Bären-Meilensteine, deren Symbol die Berliner Bildhauerin Renée Sintenis (1888 – 1965) geschaffen hatte und die von überwiegend örtliche Kollegen nachempfanden, wurden mit Bundesmitteln finanziert. – Wolfgang Kauer (aus der Reihe: Stadtgeschichte(n) in der RHEINPFALZ, 2014); Bild: Vidmayer