Fürchterliches Getöse lässt Häuser erzittern
Mit dem Verkehrsaufkommen wächst Ärger der Bürger
Genau 2114 Verkehrsunfälle gab es nach Angaben der Polizei-Inspektion Speyer 2013 im Stadtgebiet, mehrere davon waren in der RHEINPFALZ abgebildet. Der erste fotografisch dokumentierte Straßenunfall mit einem der damals wenigen Autos (1903 waren zwölf in Privatbesitz) ereignete sich 1910 im Norden der Stadt, etwa dort, wo später die Siedlung entstand. Eine Aufnahme aus dem Stadtarchiv zeigt diese „Sensation“.
An jenem 27. November vor 104 Jahren war ein Fuhrwerk der Speyerer Roggenmühle (sie lag in der Wormser Landstraße nahe des St.-Guido-Stifts-Platzes) auf der Landstraße nach Waldsee einem Omnibus der „Speyerer Motorwagen-Gesellschaft“ in die Quere gekommen. Es gab einigen Materialschaden, von Verletzten wurde nichts bekannt. Ebenso nichts über den Fotografen, der vielleicht in dem rechts gesteuerten 14-Sitzer mitfuhr. Wie sonst auch hätte er auf die relative Schnelle an den weit vor der Stadt gelegenen Ort kommen sollen.
In Verkehrsunfälle wurden damals fast ausschließlich von Kutschern und Fuhrwerk-Führern verursacht. Ein Beispiel gibt die „Speierer Zeitung“ im Mai 1907: „Eine Hochzeitskutsche kam in scharfem Tempo aus der Rossmarktstrasse heraus, um auf die Hauptstraße einzubiegen. Ein Pferd stürzte, die Deichsel brach, die Gesellschaft kam mit dem Schrecken davon“.
Laut Zeitungsbericht waren in der Vergangenheit „Fuhrleute wiederholt unangenehm aufgefallen“. Sie erschreckten Anwohner und Passen mit lautem Peitschenknallen. Das ist selbst im kleinsten Dort verboten, in Speyer aber lässt man es ungestraft geschehen“. Das und das „fürchterliche Getöse“ schwer beladener Lastwagen sowie die Tatsache, dass auch schon mal „ein allerdings leerer Leichenwagen in raschem Tempo über die Straßen eilte“, sei nicht länger hinzunehmen, schimpfte das Blatt.
Zwar fuhren auch vor über 100 Jahren schon einige PKw’s durch die Domstadt (1903 waren zwölf in Privatbesitz). Doch „beherrscht“ wurden die Straßen außer von Kutschen und Fuhrwerken auch von den fünf Daimler-Omnibussen der erwähnten Gesellschaft. Sie hielten zwischen 1899 und 1911 auf 17 Linien den Personenverkehr zu den umliegenden Dörfern und auf den Strecken zum Bahnhof und Friedhof sowie zur Rheinhäuser Fähre aufrecht.
Diese als „Fortschritt im Verkehr“ gepriesene Linienbeförderung – die erste im deutschen Reich – löste nicht bei allen Speyerern Freude aus. Obwohl die Omnibusse ab 1904 statt mit Eisen- mit Vollgummi-Reifen fuhren, berichtete der Speyerer Polizeikommissär am 7. Juni 1905 an das Königliche Bezirksamt:
„Nach gepflogenen Erhebungen und den gemachten Wahrnehmungen sind die in hiesiger Stadt vorgebrachten Klagen nicht unbegründet. Der zu den Stadtfahren benutzte Motorwagen durchläuft die Eisenbahn- und Maximilianstraße täglich 38 mal. Für die Eisenbahnstraße (später: Bahnhofstraße) kommen noch täglich drei Fahrten nach Waldsee-Otterstadt und zurück in Betracht, so dass sie täglich 44 mal durchlaufen wird. Bei jeder Durchfahrt erzittern die Häuser, das Gerassel wird für Anwohner unerträglich. Die Folgen der Erschütterungen zeigen sich an Häusern. Der Zahnarzt Detzner gibt an, dass wegen des Gerassels und der Erschütterungen schon Narkosen verunglückt seien“. – Wolfgang Kauer/Die Rheinpfalz, Bild: Stadtarchiv Speyer