Heidenturm (1768); Heidentürmlein (1773). Das „Türmlein hinter der Pfaffenstube“ wird erstmals 1546 genannt, ist auch bei Sebastian Münster (1550) und auf dem Klüpfelsauplan von 1574 zu sehen. Wegen seiner malerischen Form fehlt es auf keiner Ostansicht der Stadt. Auch der Stadtplan von 1730 zeigt es in einer Vogelschau-Ansicht, die Legende führt es aber nicht auf. Selbst das gewissenhafte Inventar von 1611 erwähnt den Turm mit keinem Wort, genausowenig wie die Turmliste in den Speierer Mannigfaltigkeiten von 1783. Kurz, dieser langezeit namenlose Turm war hübsch anzusehen, aber unwichtig.
1768 heißt es erstmals „das Heidenthürnlein“. „Die Heydenthürnlein ist ein uraltes Monument“, sagt Becker, und auch Friedrich Blaul berichtet: Man „hält es für das älteste Gebäude der Stadt“. Und das neben dem Dom! Eine Sage erklärt den Namen; Blaul hat sie bei seiner Reise von 1836 nach der Erzählung eines alten Mannes aufgezeichnet: Ein Riese mit seinem Weib, zwei Heiden also, hätten sich vorzeiten hier niedergelassen und den Turm gebaut. Die zweite Namenserklärung stammt wohl von Konrad Engelhardt. Das Vorland des Turms, diesseits vom Spich und jenseits, auf der Klüpfelsau, sei ursprünglich wüstes, vom Hochwasser versumpftes Land, also eine Heide gewesen. Engelhardt datiert den Bau ins 12. Jahrhundert. Abgesehen davon, dass die drei größeren Nachbartürme derselben „Heide“ gegenüberlagen, war dort zur Bauzeit des Türmchens geordnetes Wiesenland, zum Beispiel „Klüpfels Au“, und nicht stärker hochwassergefährdet, als die anderen Wiesen der Rheinniederung.
Eine angemessenere Deutung berücksichtigt, dass der Turm noch im 17. Jahrhundert namenlos war. Die Zeitgenossen der anschließenden Aufklärung interessierten sich lebhaft für das Alte; sie vermuteten in vielen Bauten und Fundstücken Römisches, also Heidnisches, und vergriffen sich noch maßlos beim Datieren. Man braucht nun beim Heidenturm nur die beiden „uralten“ Kopfkonsolen (an der Feldseite) als Leitbilder für die Sage aufzufassen, dann sieht man, wie Heide und Heidin, jeder für sich, ein zierliches Treppentürmchen tragen; man hat wortwörtlich zwei Heidentürmlein vor sich. Johannes Becker jedenfalls kannte 1773 die Legende schon, denn ersagt in der Stadtbeschreibung ausnahmslos (achtmal) „die Heydenthürnlein“. Der Plural ist ungewöhnlich: Er kann nur von den beiden flankierenden „Stiegenthürnlein“ und von deren Kopfkonsolen herrühren. Im Altpörtel ruhten die Gewölberippen der Durchfahrt ebenfalls auf Figurenkonsolen, bei anderen Toren wohl auch; nur hatten diese Türme längst feste Namen.
Das Speyerer Heidentürmchen verlängert die Liste der Heidenmauern, Heidentürme, Heidenwälle usw. um ein besonderes Beispiel, indem – zweifellos mehr poetisch, als ernst gemeint – sogar ein gotischer Bau in die Vorzeit datiert ist.
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