Seit 60 Jahren prägt die St. Bernhardskirche den St.-Guido-Stiftsplatz

Symbol für grenzenloses Europa

Prominenz vor und inmitten einer nach Tausenden zählenden Menschenmenge: Der St.-Guido-Stifts-Platz erlebte am 23. August 1953 seinen bis heute größten Andrang. An diesem Sonntag vor 60 Jahren wurde der Grundstein zur Kirche St. Bernhard gelegt. Sie und ihr Glockenturm bestimmen bis heute das nordwestliche Bild der der Gesamtanlage.

Der Pilger - Bernhardskirche

Die VIP-Liste zur Grundsteinlegung liest sich wie ein Auszug aus dem „Adelsregister“ der Politik: Bundeskanzler Konrad Adenauer, der frühere französische Ministerpräsident und Außenminister Robert Schuman, Frankreichs Botschafter André Francois-Poncet, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Peter Altmeier, der bayerische Landtagspräsident Alois Hundhammer, der pfälzische Regierungspräsident  Franz Pfeiffer. Dazu gesellten sich jede Menge Bundestags- und Landtagsabgeordnete und hohe französische Offiziere (die Bundeswehr gibt es erst seit erst 1955).

Acht Jahre nach dem 2. Weltkrieg hatten sich Deutsche und Franzosen am „Schicksalsstrom“ Rhein in Speyer zum ersten großen Gemeinschaftsprojekt gefunden. Die alte Domstadt schien dafür der geeignete Ort. War es doch am 27. Dezember 1146 dem burgundischen Zisterziensermönch Bernard de Clairvaux gelungen, nach den Franzosen auch die Deutschen für einen gemeinsamen Kreuzzug zu gewinnen.

Die Friedensbemühungen in beiden Ländern fanden im Grenzbistum Speyer schon bald nach 1945 engagierte Unterstützer. Speyerer Geistliche trafen sich mit Kollegen aus Elsass und Lothringen, die Pax-Christi-Bewegung und die Christliche Arbeiterjugend knüpften Verbindungen. Joseph Schwarz, später erster Pfarrer in St. Bernhard und danach Domkapitular, pflegte ab 1946 Kontakte zu Priestern in Paris und Lourdes.

Der Bau der am 24. September 1954 eingeweihten Kirche, Symbol für ein neues, die Grenzen überwindendes Europa, kostete 600.000 Mark. Die Hälfte davon übergab der Bischof von Metz, Jean Heintz, bei der Grundsteinlegung. Er hatte zuvor im Dom ein Pontifikalamt zelebriert. Die 300.000-Mark-Spende überreichte er bar, als Hundert-Mark-Scheine. Rheinland-Pfalz steuerte eine nicht näher genannte „namhafte Summe“ bei.

Die Grundsteinlegung vollzog im Beisein des Speyerer Bischofs Isidor Markus Emanuel und des Domprobstes Hofen der erste Apostolische Nuntius in der Bundesrepublik, Aloysius Joseph Kardinal Muench, ein US-Amerikaner. Ansprachen hielten Robert Schuman und – später vom Balkon des Bischofhauses – Konrad Adenauer.

In der Friedenskirche St. Bernhard mit ihren 450 Sitzplätzen und 72 Rundbogenfenstern, der großen Freitreppe und dem Kirchenvorplatz sowie dem freistehenden „Campanile“ setzte sich auch ein Speyerer Architekt ein Denkmal. Die Ideenskizze von Ludwig Ihm wurde denen von sieben Kollegen vorgezogen. St. Bernhard ist seit dem 1. Mai 1982 nicht mehr eigenständig und wird als Nebenkirche von der Dompfarrei verwaltet.  – Wolfgang Kauer  (aus der Reihe: Stadtgeschichte(n) in der RHEINPFALZ, 2013), Bild: Der Pilger, Speyer

Cholera rafft über 200 Speyerer hinweg

Letzte große Epidemie vor 140 Jahren – Auch in Waldsee Tote

Fünf Tage, nachdem er ins Hospital gebracht worden war, starb der Maurer Bummier. Das war am 25. August 1873. Der 42-jährige Familienvater war das erste Opfer der letzten großen in Speyer wütenden Epidemie: Die Cholera vor 140 Jahren forderte in der 13.000 Einwohner zählenden Stadt innerhalb von nicht ganz drei Monaten 202 Tote.

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Seuchen hatten Speyer im ausgehenden Mittelalter öfter heimgesucht. Vor allem fehlende Hygiene im Trinkwasser, bei der Nahrung und in Unterkünften sowie Unrat in den Gassen sollen zwischen 1314 und 1574 Tausenden das Leben gekostet haben – als Folgen von „Pestilentz“, womit die Pest und wohl auch die Cholera gemeint waren. Die war auch 1866 in Speyer aufgetreten, allerdings nur vereinzelt.

Vor 140 Jahren wütete die schwere Darmerkrankung vor allem dort, wo es arme Speyerer gab: In den Gebieten der Lauergasse, Halbes Dach, Stüber-, Steinmetz-, Mehl- und Mörschgasse, Armbrustraße, wo meist Tagelöhner und ihre Familien oft auf kleinstem Wohnraum zusammengedrängt hausten. Aber auch anderswo gab es Cholerafälle, unter anderem in der heutigen Karmeliterstraße. Insgesamt erkrankten 418 Speyerer, in Waldsee starben zwei Männer daran.

„Die Cholera in Speyer und Waldsee 1873“ heißt ein Beitrag von Bernhard Kukatzki, in dem der Schifferstadter Historiker auch schildert, wie die „asiatische Brechruhr“ an den Rhein gelangte. Ursprünglich auf Südostasien beschränkt, war die Cholera in jenem Jahr in Ungarn aufgetreten und bewegte sich über Wien und München bis nach Speyer als ihrem „letzten westlichen Ausläufer“ vor.

Für Speyer hatte die Epidemie auch insofern Folgen, als sie auch eine wirtschaftliche Krise nach sich zog. In dem erwähnten Beitrag heißt es dazu: „Von Ende August an, als das Auftreten der Seuche in Speyer durch öffentliche  Blätter bekannt wurde, vermied man sofort den Besuch der Stadt. Der Fremdenverkehr, sonst im September am lebhaftesten währen des ganzen Jahres, hörte bald auf, anfangs erschienen noch Geschäftsreisende. Als aber von Mitte September an die Krankheit zunahm, war die Verödung der Stadt vollständig“.

Wer von den Speyerer Bürgern es sich leisten konnte, sei geflohen. Sie hätten aber „auswärts nicht immer willige Aufnahme“ gefunden und waren „zum Teil gezwungen, ihre Heimat zu verleugnen“. Auch die Ausfuhr von Speyerer Waren habe aufgehört, „selbst bereits erhaltene wurden zurückgesandt, Bestellungen telegraphisch zurückgenommen“. Auch die drei Wochenmärkte seien schwach beschickt gewesen.

Die Ärzte Joseph von Heine und Friedrich August Mühlhäuser suchten nach den Gründen der Cholera-Epidemie in Speyer. Sie kamen zu der Erkenntnis, dass Ess- und Trinkmöglichkeiten des armen Bevölkerungsteils nicht die Auslöser gewesen sein können, wenngleich sie „durch hohe Preise der ersten Lebensbedürfnisse in Ernährung und Körperkraft etwas zurückgehalten wird“. Die Empfehlung der Mediziner: Verbesserung der hygienischen Verhältnisse. – Wolfgang Kauer (aus der Reihe: Stadtgeschichte(n) in der RHEINPFALZ, 2013), Bild: wikipedia

Auswanderer

Meist aus zwei Gründen Speyer verlassen

Wirtschaftliche und politische Zwänge die Ursachen der Auswanderungen

Hungersnot war die Hauptursache für Massenauswanderungen, die im 17. und 18. Jahrhundert die Pfalz zu entvölkern drohten. Speyerer setzten sich meist erst später ab, auch aus wirtschaftlichen, aber auch aus politischen Gründen.

Der offenbar aus Nordfrankreich vertriebene Hugenotte Louis Bevier und die mit ihm in Speyer getraute Frau Marie Le Blanc waren die Ersten, deren Auswanderung registriert wurde. Später erreichten Heinrich Mühlberger alias Henry Mulberger als Anwalt, Bankier und Bürgermeister sowie Heinrich Hilgard, der sich als „Eisenbahnkönig“ und Millionär Henry Villard nannte, Ansehen und Wohlhabenheit, nachdem sie Speyer verlassen hatten. In seinem von der Speyerer Freiwilligenagentur „spefa“ initiierten Vortrag „Amerika ist (k)ein Schlaraffenland“ im historischen Ratsaal nannte Roland Paul, Direktor des Instituts für pfälzische Geschichte, Beispiele aus der Speyerer Auswandererszene.

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Louis Bevier und seine Frau waren 1675 mit mehreren anderen hugenottischen Familien in die englische Kolonie New York zogen. Sie gehörten zu denen, die im Tal des Hudson von Indianer ein Stück Land erwarben und die Siedlung „New Paltz“ gründeten.

Die erste Massenflucht aus der Pfalz mit etwa 15.000 Menschen über Rotterdam England und Irland in Richtung Nordamerika setzte 1709 ein. Es waren offenbar nur wenige Speyerer dabei,  denn diese Auswanderung war eine überwiegend reformiert-lutherisch-mennonitische Angelegenheit. Vorwiegend Katholiken dagegen folgten im späten 18. Jahrhundert den Einladungen von Kaiserin Maria Theresia und der Zarin Katharina der Großen zur Kolonisierung im Habsburger Reich und in Russland.

Damals suchte auch Frankreich in der Pfalz nach Auswanderern. Ziel war Cayenne in Guayana an der Nordküste von Südamerika. Die Aussicht, dort zu siedeln, entfachte in den fürstbischöflichen Speyererischen Dörfern „eine allgemeine Seuche“, wie es in einem zeitgenössischen Bericht hieß.

Die Auswanderung nach Amerika kam erste wieder nach der pfälzischen Franzosenzeit (1797 – 1814) in Gang. Um 1820 warb das unabhängig gewordene Brasilien verstärkt um Emigranten. So sehr, dass dem Werbeoffizier Georg Anton Schäffer von der in Speyer ansässigen bayerischen Pfalz-Regierung „die Arretierung“ angedroht wurde.

Das Hambacher Fest 1832 und die folgenden Unterdrückungsmaßnahmen durch den Deutschen Bund und die bayerische Regiung forcierten die Auswanderung, bzw. Flucht nach Nordamerika. Unter den Emigranten waren der Speyerer Apotheker und Burschenschaftler Friedrich Braun (New York) und die Familie Ehinger (Cleveland).

Nach dem Pfälzer Aufstand von 1848/49 folgten deren Mitbürger Ludwig Arras, Heinrich Ballreich, Philipp Bauer, Ludwig Brunner, Eduard Flory, Eduard Heeren, Nikolaus und Georg Hollhorst, Franz Kohl, Nikolaus Ruppert, Johannes Schmidlhuber, Georg Sens und Albert Zimmermann. Sie flüchteten ebenso über Frankreich und die Schweiz in die USA wie der Präsident der provisorischen Regierung der Pfalz, der Speyerer Notar Joseph Martin Reichard (ließ sich in Philadephia nieder).

Nach dem Bürgerkrieg in den USA (1861 – 1865) wanderten Karl (Charles) und Franz Helfrich aus Speyer nach Cincinnati aus, in dem dortigen Stadtteil „Over the Rhine“ wurde Franz Helfrich Gastwirt und Weinhändler. Es folgten mehrere Mitglieder der Speyerer Familie Bardua (Daniel, Margarethe, Carl).

Wie nach dem Zweiten, kamen auch nach dem Ersten Weltkrieg viele Care-Pakete nach Speyer, abgeschickt meist von ehemaligen Bürgern. Und wie später, besuchten auch nach 1918 einige früherer Domstadt-Bewohner die alte Heimat. So Katharina Becker aus Elmhurst/New York, Louis Danzel (San Franzisco), Julius Fabricius (Kingston/New York, Alfred Reeb (New Jersey). In dieser Zeit zog es aber auch einige Speyerer in die USA. So Hans und Käthe (Colchester/Connecticut), Maximilian Ebel (Boston), Maria Joos) (Chicago), Mathilde Dauenhauer (Syracuse/New York).

Die Nazi-Repressalien zwangen auch Speyerer Juden zur Flucht. Emigrieren konnten der Rechtsanwalt Wilhelm Kahn und seine Frau (Hartford/Connecticut), der Lehrer und Kantor Leo Waldbott samt Familie (Detroit), der Kaufmann Gustav Adler mit mehreren Geschwistern (New Orleans), der Musiker Dr. Karl Haas, der in Detroit eine populäre Radiosendung moderierte und Alfred Cahn. Er machte Karriere als Musikdirektor und Komponist. Cahn besuchte 2000 seine alte Heimat, eingeladen von der Stadt Speyer und dem Historischen Verein der Pfalz.

Wieviel Speyerer ihre Heimat nach dem 2. Weltkrieg in Richtung Ausland  verlassen haben und wohin sie auswanderten, erschließt sich nur unvollständig. Zum einen führt die Stadt nach Auskunft ihrer Pressestelle darüber nicht Buch und verweist an das Statistische Landesamt Rheinland-Pfalz. Das teilt mit, darüber erst seit 2000 die Benachrichtigungen darüber computermäßig so erfasst zu haben, dass sie ohne große Mühe mitgeteilt werden können. Allerdings sei nicht vermerkt, ob es sich bei den Abmeldungen um Auswanderungen oder länger-, bzw. kurzfristige Wegzüge handele.

Somit ergibt sich: In den zwölf Jahren zwischen 2000 und 2011 meldeten sich  insgesamt 1285 Deutsche aus der Domstadt für einen ständigen oder zeitlich begrenzten Aufenthalt im Ausland ab. Der Spitzenwert wurde 2003 mit 190 Wegzügen registriert. Bevorzugtes Ziel in diesen Jahren war Kanada mit 169 Vermerken vor der Schweiz (116), den USA (102) und Frankreich (71).

Ziele mit unbekannter Dauer für jeweils einen oder eine Deutsche aus Speyer waren in diesen zwölf Jahren die Slowakei, Kasachstan, Iran, Saudi-Arabien, Kuwait, Pakistan, Myanmar, Taiwan, Kuba, Costa Rica, Antigua&Barbuda und Uruguay.  – Wolfgang Kauer (aus der Reihe: Stadtgeschichte(n) in der RHEINPFALZ, 2013), Bild: wikipedia (Henry Villard)