Turm der Retscherkirche: Unterschiedlich hoch

Turm der Retscherkirche: Unterschiedlich hoch

In der Pfalz sind die Speyerer die Größten. Zumindest, was die Höhe ihres höchsten Kirchturms betrifft, dem der Gedächtniskirche der Protestation. Der Turm der „Retscherkärch“ misst nach Angaben des Bauvereins der Gedächtniskirche „genau 100 Meter“. Doch das stimmt nicht, ebenso nicht die in manchen Notizbüchern vermerkten 103 m und auch nicht die bei Wikipedia unter „Die welthöchsten Kirchtürme“ angegebenen Höhenmaße.

Dort ist der Turm der Speyerer Gedächtniskirche mit
96,75 m notiert. Damit ist er zwischen der Predigerkirche in Zürich (97,00 m) und der Mikael-Agricola-Kirche in Helsinki (96,70 m) auf dem 86. Platz eingeordnet (am höchsten ist das Ulmer Münster mit 161,53 m). Nicht ganz richtig ist auch eine 2001 von dem damaligen Dekan der Gedächtniskirche, Friedhelm Jakob angeregte Messung. Sie ergab 98,10 m.

Die unterschiedlichen Angaben veranlassten zur Nachfrage bei einem Experten. Bernd Ehrhardt, technischer Leiter der Bauabteilung der Evangelischen Landeskirche der Pfalz, hat beim Blick aus seinem Büro in der Roßmarktstraße den Retscher-Kirchturm stets im Visier. Doch um die Frage der Zeitung bis auf den Zentimeter genau beantworten zu können, schaut er in seine Unterlagen, erstellt nach dem ziemlich komplizierten Vorgang einer photogrammetrischen Vermessung.

Die besagt: Gemessen vom Haupteingang aus (Halle mit dem Luther-Standbild) ist der Kirchturm 96,40 m hoch; gemessen vom Chor aus (Ende des Kirchenschiffs) 97,40 m; gemessen ab der Straßenhöhe 97,60 m bis 97,70 m. Jeweils dazugezählt ist laut Bernd Ehrhardt der 40 cm hohe Aufsatz des Blitzschutzes.

Andere hohe Gebäude in Speyer: St. Josefs-Kirche: Westtürme
90 m/Osttürme 40 m – Dom: Osttürme 71,20 m/Westtürme 65,60 m – Altpörtel: 55 m – DRV-Hochhaus (früher LVA-Hochhaus): 54 m – Max und Moritz-Hochhäuser: 48 m – Wasserturm: 36 m – Diakonissenanstalt, Krankenhaus-Hochhaus: 34 m.

Das höchste Speyerer Gebäude war mit 200 m der große Kamin der Raffinerie. Er wurde 1978 gebaut und 1986 abgerissen.  – wk

Die Sache mit der Adolf-Hitler-Straße in Speyer

Bald soll der Stadtrat entscheiden, welche Speyerer Straße oder Allee nach dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl benannt werden wird. Über Benennungen dieser Art wurde während der Nazi-Zeit nicht diskutiert. Falls nicht schon in jeder Stadt und in jedem größeren Dorf auf Anweisung örtlicher Parteigenossen geschehen, erging aus Berlin die Anordnung, sich auf diese Weise vom Führer „beschenken“ zu lassen. Das war in Speyer nicht anders.

In der Domstadt lag die „Adolf-Hitler-Straße“ nicht etwa im Zentrum wie anderswo zumeist, sondern am westlichen Stadtrand. Aufmüpfigkeit gegen die Reichsführung etwa? „Das Gegenteil war der Fall“ fand Ferdinand Schlickel heraus, ein auch mit der Speyerer Stadtgeschichte vertrauter früherer Journalist.

Danach hatten die Speyerer Nazis von einer Prunkallee zwischen dem Wasserturm (dort bestand bereits eine Adolf-Hitler-Straße) und der Iggelheimer Landstraße geschwärmt und diesen Plan in Berlin vorgelegt. Die NS-Führung reagierte offenbar umgehend und rekrutierte für diese künftige kilometerlange Prachtstraße, die sich zu großartigen Einzügen in die Stadtmitte eignen würde, den Namen des „Führers“.

Doch als es sich ab 1943 zeigte, dass es wohl nichts werden würde mit dem „Tausendjährigen Reich“, wurde der Plan einer Prunkallee fallen gelassen. Dafür sollte eine große Straße inmitten der Stadt den Namen Adolf Hitlers tragen.

Zunächst wurde dafür die Bahnhofstraße vorgeschlagen. „Das lehnte der damalige zweite Bürgermeister Cornelius Bechtel ab“, berichtete Schlickel. Das Argument des Bürgermeisters: „Eine Straße, die seit 1860 so heißt und zum Bahnhof führt, wird für die Bürger immer die Bahnhofstraße bleiben. Das ist nicht groß und nicht erhaben genug für den Führer“. Zusammen mit Karl Delobelle, dem NS-Aufpasser des Bürgermeisters Karl Leiling, brachte Bechtel die Wormser und die Johannesstraße ins „Adolf-Hitler-Spiel“.

Leiling sprach dagegen. Er verwies vor dem Stadtrat darauf, welche Schwierigkeiten dem Grundbuch- und Katasteramt durch die Umbenennung entstehen würden und behauptete, „das will der Führer in diesen Zeiten nicht“. Dieses Argument zog. Die Straße mit dem Namen Adolf Hitler blieb auf das relativ kurze Stück „Am Wasserturm“ beschränkt. So heißt sie wieder, seit sie – wie fünf andere Speyerer Straßen auch – nach dem Krieg „entnazifiziert“ wurde.  – wk

Der Storchenkrieg von Speyer

Der Storchenkrieg von Speyer

 

Nicht in die wechselvolle Geschichte der Domstadt am Rhein eingegangen ist „Der Storchenkrieg von Speier“. So betitelte 1912 die in Magdeburg erscheinende „Volksstimme“ die von der „Frankfurter Zeitung“ übernommene Schilderung einer Episode von 1789, die auf dem Dach der heute 282-jährigen Sonnenapotheke in der ab 1816 Maximilianstraße genannten Hauptstraße begonnen hatte.

Auf dem Apothekendach nistete ein Storchenpaar – sehr zur Freude des Apothekers Ludwig Wilhelm Garisch, nicht jedoch zu der eines benachbarten Schneidermeisters. Der schimpfte wegen des von den Vögeln verursachten Ungeziefers und stieß in einer nächtlichen Aktion das Storchennest vom Dach der anderen Haushälfte (zum besseren Verständnis: Durch das Anwesen der Sonnenapotheke lief nach Auskunft des heutigen Besitzers Dr. Wolfgang Eiberger eine Trennmauer).

Daraufhin verklagte der Sonnenapotheker Garisch den Schneider, der jedoch vor Gericht Recht bekam. Was wiederum einige Anwohner verdross. Sie brachten, laut Zeitungsbericht „vor der Obrigkeit vor, das Storchennest möge in ihrer Straße bleiben“.

Als die „Obrigkeit“ unnachsichtig blieb, handelte ein neben dem Schneidermeister wohnender Weißgerber. Und sorgte auf seinem Haus für eine Nistmöglichkeit, die die Störche alsbald annahmen. Das ärgerte den Schneidermeister sehr. Er hieß seine Gesellen, in ihrer Schlafstube im Speicher viel Lärm zu machen. Was sie offenbar so ausgiebig taten, dass die Vögel davonflogen. Das wiederum veranlasste andere Nachbarn zu einem Spottgedicht über die Schneidergesellen, worauf diese das verlassene Nest auf die Straße beförderten.

Die Folge: Es gab eine Straßenschlägerei, in die Soldaten eingriffen und in deren Verlauf einige Beteiligten in den auf der Hauptstraße fließenden Speierbach stürzten und eine Obsthändlerin einen Arm verlor. Jetzt griff der Stadtmagistrat ein und ließ anderntags öffentlich verkünden, auf dem Apothekerhaus werde wieder ein Storchennest angelegt, für dessen Erhalt „dem Hausbesitzer und seinen Erben auf undenkliche Zeit das Recht zusteht“.

Die „undenkliche Zeit“ ist längst vorbei, die heutige Sonnenapotheke ist storchennestfrei. – Wolfgang Kauer